Schattenwirtschaft häusliche Pflege: Bis zu 800.000 Pflegekräfte illegal beschäftigt

7 Milliarden Schattenwirtschaft illegale Pflege

Betreuungs- und Pflegearbeiten in deutschen Familien werden zunehmend von Arbeitsmigrantinnen übernommen. Ihre prekäre Situation analysiert jetzt eine Studie der Arbeits- und Organisationssoziologie der TU Darmstadt mit dem Namen „Migrantische Pflegekräfte in deutschen Haushalten zwischen struktureller Machtlosigkeit und individueller Primärmacht“. Betreuung, Pflege und Fürsorge im eigenen Heim: Für „Care-Verpflichtungen“ in der Familie, die früher überwiegend weibliche Angehörige übernommen haben, werden heute zunehmend Arbeitsmigrantinnen aus Mittel- und Osteuropa engagiert – weil ein Pflegeheim nicht in Frage kommt oder viele die Aufgabe nicht selbst übernehmen können oder wollen. Die Betroffenen beziehungsweise deren Angehörige sparen durch das Personal aus Rumänien oder Polen Kosten und sichern sich vielfach eine 24-Stunden-Pflege, sieben Tage in der Woche.

Hohe Dunkelziffer der 24 Stunden Betreuung

Wie viele Arbeitsmigrantinnen derzeit in deutschen Haushalten im Einsatz sind, weiß niemand genau. „Die Dunkelziffer ist hoch“, sagt Karina Becker, Wissenschaftlerin am Institut für Soziologie der TU Darmstadt . Die Expertin hat sich die Situation der Pflegekräfte im Rahmen ihrer Studie „Migrantische Pflegekräfte in deutschen Haushalten zwischen struktureller Machtlosigkeit und individueller Primärmacht“ genauer angeschaut, insgesamt 27 qualitative Interviews in neun Haushalten mit Pflegekräften, Pflegebedürftigen und Angehörigen geführt und die Expertise von Fachleuten aus Beratungsstellen eingeholt.

Prekäres Arbeitsverhältnis

„In allen Fällen gab es eine erhebliche Machtasymmetrie zu Lasten der Pflegekräfte“, berichtet sie. In der Mehrzahl seien die Arbeitszeiten nicht geregelt und der Gesundheitsschutz und die Arbeitssicherheit nicht gewährleistet. Aufgrund fehlender Regulierung müssten die Pflegekräfte ihre Arbeitsbedingungen selbst aushandeln. Gleichzeitig etablierten sich in den vor öffentlicher Kontrolle geschützten Privathaushalten Standards wie ständige Verfügbarkeit oder die Erwartung, den Job für wenig Geld, aber „mit Herzblut“ zu machen – Standards, die nicht mehr hinterfragt würden. Verhandlungsspielraum bleibe den Betroffenen kaum, weil sie aufgrund des hohen Arbeitskräftepotenzials ersetzbar seien. Arbeiten und verhalten sie sich nicht, wie es die Familien von ihnen erwarten, werden sie wieder nach Hause geschickt“, beobachtet Becker. Die Expertin identifiziert in ihrer Studie vier Arten von prekären und unregulierten Beschäftigungsverhältnissen: illegal Beschäftigte; vermeintliche Haushaltshilfen, die im Rahmen der Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Deutschland kommen, tatsächlich aber in der „Grauzone Pflege“ arbeiten; Frauen, die von einer Dienstleistungsagentur im Ausland geschickt werden, und Scheinselbstständige. Nachhaltig lösen lässt sich das Problem nach ihrer Überzeugung aber nur, wenn es öffentlich gemacht wird und Arbeitsmigrantinnen in Deutschland eine Lobby bekommen. Hierzu soll auch ihre Forschung beitragen: „Wir müssen dieses Thema aus der Nische holen.“

Schätzungen Schattenwirtschaft der 24H Betreuung

Eine genaue Zahl von Arbeitsmigrantinnen in der häuslichen Pflege ist nicht bekannt. Schätzungen gehen von 300.000 bis 800.000 aus.
Ein Rechenbeispiel:
400.000 Arbeitsmigrantinnen in der häuslichen Betreuung und Pflege,
entlohnt mit monatlich je 1500 Euro „auf die Hand“, ohne Steuer- und Sozialversicherungsabzug,
sind insgesamt 600 Mio. Euro monatlich,
über 7 Mrd. Euro im Jahr.
Ein gewaltiges Geschäftsvolumen, das bisher in keiner Statistik zum Volumen der Dienstleistungen in Betreuung und Pflege in Deutschland erfasst wird.
Zum Vergleich: Erfasstes Volumen ambulanter Sachleistungen durch Pflegedienste p.a.: rund 11 Mrd. Euro

Quelle: CareInvest

Alexander Keller

Ehemaliger Chefredakteur vom Wohnen im Alter Magazin.

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