Flüchtlinge lernen Deutsch im Pflegeheim
Die Wohngemeinschaft für Senioren (WGfS) in Filderstadt kooperiert seit diesem Schuljahr mit der Gotthard-Müller-Werkrealschule am Ort: Eine Vorbereitungsklasse brachte zum Antrittsbesuch nun den Bewohnern des Pflegeheims frisch gepressten Apfelsaft. Die 19 Schüler aus acht Nationen haben die Früchte selbst aufgelesen und in einer Kelter gepresst. „Der Saft schmeckt lecker“, freut sich Helene Roppers.
Die Seniorin und ihre Mitbewohner heißen die jungen Migranten, darunter etliche aktuelle Flüchtlingskinder wie Darijo, im Casa Medici willkommen. Klassenlehrer Jan Stark hat diese erste Vorbereitungsklasse seiner Schule im August 2014 mit ins Leben gerufen. Der Grund: Die steigende Zahl von Migranten ohne Deutschkenntnisse im schulpflichtigen Alter. Ziel solcher Klassen ist es, deren Schülern die deutsche Sprache erlebnispädagogisch zu vermitteln, damit sich diese möglichst den gesamten Schultag über in Theorie und Praxis mit dem Spracherwerb befassen.
„Wir holen jeden einzelnen Schüler da ab, wo er steht“, benennt Stark ein pädagogisches Konzept. Innerhalb der Klasse unterrichtet er aktuell auf sieben unterschiedlichen Sprachniveaus, um die Kinder individuell zu fördern. So lernt jeder Schüler in seinem Lerntempo. Wer den Abschlusstest mit der Note Drei besteht, wechselt in eine Regelklasse. Stark sieht bei vielen Schülern ein hohes Potential, mit dem sie mittelfristig höhere Bildungsabschlüsse bis hin zum Abitur machen können. Der Deutsch-Unterricht findet vier Tage die Woche statt. Der Donnerstag ist Praxistag. Diesen Teil, also auch das Apfelsaftpressen und den Seniorenbesuch, gestalten die Lehrerinnen Ellen Huttenlocher und Yvonne Rahner.
Auf die WGfS waren die Pädagoginnen aufmerksam geworden, weil im Rahmen der Berufsorientierung Siebt- bis Neuntklässler dort regelmäßig hospitieren. Durch den engen Austausch und die Offenheit der Führungskräfte in dem Seniorenheim waren sich beide Seiten rasch einig, auch mit der Vorbereitungsklasse kooperieren zu wollen. WGfS-Chefin Rosemarie Amos-Ziegler: „Die jungen Leute bringen Leben ins Haus und damit Abwechslung in den Alltag unserer 130 Bewohner.“
Hinzu kommt, dass in den Begegnungen die kulturelle Vielfalt sichtbar wird. So haben viele Migranten großen Respekt vor älteren Leuten. In manchen Kulturen im afrikanischen oder arabischen Raum gelten alte Menschen gar als heilig. Das war offenbar auch beim Besuch im Casa Medici spürbar. Die Jungen sollen von den Alten nicht nur die Sprache lernen, sondern auch deren Gebräuche und Gewohnheiten, so der pädagogische Ansatz.
Dabei kommen die Beteiligten in einen Dialog, was typisch für eine Region ist oder was Heimat ausmacht. Der erste Besuch war deshalb nur ein Anfang. Ende Oktober gehen Migranten und Senioren gemeinsam auf den Wochenmarkt, wobei die jungen, kräftigen Menschen ganz praktisch Nutzen stiften, egal wie gut bis dahin ihre Deutschkenntnisse sind. Das schafft Erfolgserlebnisse. Die Schüler werden mit den Bewohnern auch Kürbisgeister schnitzen und Kürbissuppe kochen. In der Adventszeit steht dann Plätzchen backen auf dem gemeinsamen Plan.
Neueste Kommentare