Wenn Senioren und Flüchtlingskinder über Heimat sprechen
Kunstprojekt schweißt Jung und Alt zusammen
Inge Bumann setzt den Wachsmalstift aufs Papier. Während sie Blätter an einen Ast zeichnet, beschreibt die 80-Jährige den Apfelhain ihrer Eltern. Früher hatte sie dort mit ihren Schwestern Fangen und Verstecken gespielt. Kamil*, ihr 14-jähriger Kunstpartner, hört aufmerksam zu. Dann fängt auch er an zu erzählen. Von der Blütenpracht syrischer Apfelbäume, von der selbstgebauten Bewässerungsanlage seines Vaters und davon, wie sehr er den Familienhund vermisst.
Altes und neues Zuhause vereint
Das Kunstprojekt „Grenzenlos“ der Wohngemeinschaft für Senioren (WGfS) und der Gotthard-Müller-Schule in Filderstadt bei Stuttgart lässt der Trauer des jungen Syrers Raum. Mit Acrylfarbe, Buntstiften und Wachsmalkreide bewaffnet, widmeten sich 18 Flüchtlingskinder und sieben Senioren Themen wie Heimat, Krieg und Schmerz. Kunsttherapeutin Eva Hauser begleitete den Prozess, bei dem die Teams unter anderem den Übergang vom alten in das neue Zuhause visuell darstellten.
„Viele unserer 130 Bewohner haben ähnliches erlebt, wie die Flüchtlingskinder“
An jedem der fünf Vormittage präsentierten die Nachwuchskünstler ihre Werke im Plenum. „Das ist nicht nur eine gute Deutsch-Übung“, wie Klassenlehrer Jan Stark verdeutlicht, „sondern auch eine Möglichkeit, sich das Erlebte von der Seele zu reden.“ Ein Schüler aus dem Irak etwa sprach zum ersten Mal über den Verlust seines Freundes. Während eine alte Dame den Tod ihres im Krieg gefallenen Bruder beweinte. „Viele unserer 130 Bewohner haben ähnliches erlebt, wie die Flüchtlingskinder“, weiß WGfS-Chefin Rosemarie-Amos Ziegler, die mit 200 Mitarbeitern drei Pflegeheime betreibt.
Alte werden herzlich umarmt
Schon seit einem Jahr kooperiert die Wohngemeinschaft mit der Vorbereitungsklasse. Ziel ist es, dass die Kinder von den Älteren Sprache, Gewohnheiten und Traditionen erlernen. Gemeinsames Kürbissuppe kochen, Ostereier färben oder Plätzchen backen, macht Jungen und Alten gleichermaßen Spaß. „Inzwischen sind richtige Beziehungen entstanden“, freut sich Amos-Ziegler. So sei es mittlerweile selbstverständlich, dass Rollatoren durchs Schulgebäude fahren. „Manche der 12- bis 17-Jährigen empfangen die Pflegeheimbewohner sogar mit herzlichen Umarmungen“, bestätigt Stark.
Am 18. und 19. Juli steht das ungewöhnliche Ensemble gemeinsam auf der Theaterbühne. Die Abendveranstaltung in der Veranstaltungshalle Filharmonie steht ebenfalls unter dem Motto „Grenzenlos“. In Form eines Märchens führen die Migranten vor, welche Herausforderungen sie in der Fremde meistern müssen und wie Deutschland zur neuen Heimat wird. Es geht um Zusammenhalt und Integration.
Sorgen um verletzte Seniorin
Dafür proben Rentner und Jugendliche bereits seit 6 Monaten wöchentlich. Kürzlich sorgte ein Zwischenfall für Aufregung. Eine Seniorin stürzte beim Üben. „Am nächsten Tag wurde ich mit Blumen, Schokolade und Genesungskarten überhäuft“, schmunzelt Klassenlehrer Stark, „ich musste den Schülern versprechen, die Patientin noch am Abend zu besuchen.“
Neueste Kommentare