Per Rollstuhl auf das Stuttgarter Volksfest

Trotz Schlaganfall aufs Volksfest: 20 Begleiter haben dieses Erlebnis 12 Rollstuhlfahrern ermöglicht.

Trotz Schlaganfall aufs Volksfest: 20 Begleiter haben dieses Erlebnis 12 Rollstuhlfahrern ermöglicht.

Mit 20 Betreuern, neun Autos und einem Hänger für fünf Rollstühle hat die Wohngemeinschaft für Senioren, ein privates Pflegeheim in Filderstadt für 130 Bewohner,
einen Ausflug auf das Cannstatter Volksfest bewältigt. Von der 92-Jährigen über den Beimamputierten bis zur halbseitig Gelähmten erlebten zwölf Rollstuhlfahrer einen außergewöhnlichen Nachmittag.

Schunkeln im Bierzelt: Die Senioren hatten ihre eigene Loge samt separater Toilette.

Schunkeln im Bierzelt: Die Senioren hatten ihre eigene Loge samt separater Toilette.

Birgit Schweizer lacht, wenn sie Details des kuriosen Ausflugs schildert, der am ersten Wasen-Samstag stattfand. Dass parallel das Landwirtschaftliche Hauptfest eröffnet wurde und nebenan der VfB Stuttgart im Stadion sein Heimspiel gegen Hannover bestritt, macht den Ausflug noch skuriler. Die zwölf Senioren, geschützt durch ihre Rollstühle und eskortiert von Pflegefachkräften und Angehörigen, genossen das Gedränge zehntausender Besucher statt sich von der Reizüberflutung stressen zu lassen.
Im Dinkelacker-Zelt hatte die illustre Gruppe eine komplette VIP-Lounge samt separater Toilette für sich. Hier aßen die Senioren vor allem Weißwürste und schlürften Radler. Entstanden war der Kontakt durch einen Bewohner, dessen Sohn bei der Brauerei arbeitet. Auch die Mitarbeiterinnen waren so neugierig auf den Ausflug, dass viele an ihrem arbeitsfreien Samstag trotzdem mit gingen, teils unterstützt von ihren Partnern.
Einer besorgte einen Hänger, auf dem fünf der sperrigen Rollstühle transportiert wurden. In Summe waren acht private Pkw und ein DRK-Fahrzeug im Einsatz. Somit wäre die Gruppe auch flexibel gewesen, einzelne Senioren frühzeitiger zurückzubringen, was aber niemand in Anspruch nahm. „Unsere Bewohner habe ich noch nie so viel Essen gesehen wie im Festzelt,“ sagt Schweizer, Pflegedienstleiterin im WGfS-Haus Kettemer Straße.

Auch im Gedränge des Volksfestes erlebte die Gruppe andere Besucher als rücksichtsvoll. Und einem Burschen, der provokativ den Weg versperrte, gab Schweitzer zu bedenken, nach einem Schlaganfall könne auch er schneller als ihm lieb sei im Rollstuhl sitzen. Dass die Senioren tags darauf teils bis 10 Uhr schliefen, zeigt wie intensiv der Ausflug für sie war.
Noch heute schwelgen die Ausflügler in ihren Erinnerungen an den Tag. Und eine Tochter, die den Rollstuhl ihrer hochbetagten Mutter schob, sagt: „So fröhlich und gelöst habe ich meine Mutter seit 20 Jahren nicht mehr erlebt.“

Michael Sudahl

Michael Sudahl ist freier Journalist in Schorndorf

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