Kultursensible Pflege: „Wir haben Arbeitskräfte gerufen, und es sind Menschen gekommen“
Pflege im kulturellen Wandel
Alt, pflegebedürftig und kinderlos: das ist Deutschland. Deutschland hat die älteste Bevölkerung in Europa und die zweitälteste weltweit. Das Thema Pflege wird aufgrund des demographischen Wandels für viele Deutsche immer bedeutender. Schätzungen zufolge wird sich die Zahl der Pflegebedürftigem im Jahr 2030 auf 2,8 Millionen belaufen. Dazu gehören auch Menschen aus anderer Kulturkreise. Familien, die in den 60er Jahren ihre Heimat verlassen haben und nach Deutschland kamen, um hier zu leben und zu arbeiten. Für die gesellschaftliche Altersstruktur hat das zur Folge, dass in Zukunft der Anteil der Pflegebedürftigen mit Migrationshintergrund zunehmen wird. Das stellt neue Anforderungen an das Personal ambulanter und stationärer Pflegeeinrichtungen und nimmt selbstverständlich Einfluss auf den Stellenmarkt. Vermehrt werden Pflegekräfte gesucht, die neben fremdsprachlichen Kenntnissen sogenannte interkulturelle Kompetenzen mitbringen. Denn weder Pflegedienstleister noch die Politiker scheinen auf diesen Wandel vorbereitet zu sein.
Das Konzept der kultursensiblen Pflege
Schlagwörter wie „kultursensible“ oder „interkulturelle“ Pflege haben so in den letzten Jahren stark an Konjunktur gewonnen. Doch welch ein Konzept verbirgt sich eigentlich dahinter? Orientierte sich die Ausrichtung der Pflege in der Vergangenheit vorrangig an medizinischen Notwendigkeiten, rückt die „kultursensible Pflege“ die differenten Bedürfnisse und Lebensgewohnheiten Senioren anderer Kulturkreise in den Vordergrund. Pflege, die sich nach den kulturellen Lebensbiographien der ihrer Anvertrauten richtet, muss gewährleisten, dass Sprache, Religion, Traditionen, Sitten und Gebräuche berücksichtigt werden. Beispielsweise berücksichtigen Senioreneinrichtungen bei der Erstellung des täglichen Speiseplans, dass deutsche Hausmannskost nicht jedermanns Sache sein muss. Einfluss auf den Alltag nehmen natürlich auch die religiösen Unterschiede der Pflegenden. Um ihnen gerecht zu werden, muss dem Pflegepersonal bekannt sein, was der Glaube für das alltägliche Leben bedeutet. Kommunikation stellt das A und O in der Konzeption kultursensibler Pflege dar. Doch finden sich hier meist die ersten Schwierigkeiten. Besonders demenzerkrankte Patienten wenden sich in vielen Fällen ihren Muttersprachen zu, was zu Problemen der Verständigung führen kann, wenn das Pflegepersonal diese nicht beherrschen.
Optimale Betreuung für Einwanderer
Ohne Frage, das Konzept kultursensible Pflege birgt einige Herausforderungen für die bereits überstrapazierten Senioreneinrichtungen und Pflegedienstleister. Handlungslinien festzulegen und dafür Sorge zu tragen, dass alt gewordener Menschen aus unterschiedlicher Kulturkreise auf optimale Betreuung zu gewährleisten, sollte jedoch kein Zusatzangebot, sondern eine Selbstverständlichkeit sein. Erfahrungen haben gezeigt, dass die Missachtung soziokultureller Unterschiede negative Auswirkungen auf den Pflegeprozess nimmt. Pflege sollte immer als ein individueller Auftrag verstanden werden, unabhängig davon, wo man geboren wurde. Die Rücksichtnahme auf kulturelle und religiöse Unterschiede darf unter keinen Umständen als mangelnde Integration verstanden werden, sondern steht vielmehr für Pflege, wie sie sein sollte: nah am Menschen.
Politik und Gesellschaft reagieren
Politik und Zivilgesellschaft beginnen auf den kulturellen Wandel in der Pflege zu reagieren. Das Bundesprogramm XENOS, eine Initiative des Europäischen Sozialfonds, fördert die Integration und Vielfalt am Arbeitsplatz. Im Rahmen dessen haben Institutionen der Pflege, wie das Haus der Diakonie, Projekte ins Leben gerufen, die unter anderem das Ziel haben Senioren anderer Kulturkreise umfassend in das deutsche Pflegesystem zu integrieren und das Pflegepersonal für die interkulturelle Pflegearbeit zu sensibilisieren und zu schulen. Die Zukunft der Integration in Zeiten des demografischen Wandels und Fachkräftemangel ist auch Thema des IQ-Kongress (Netzwerk Integration durch Qualifizierung) „Gekommen, um zu bleiben“, der am 4. und 5. Februar 2014 in Berlin stattfinden wird.
Bildquelle: kultursensible-pflege.de
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