Führen Laienpflege und Ambulantisierung zum Pflegenotstand?
Ambulant vor stationär nicht immer sinnvoll?
Das Motto „ambulant vor stationär“ gilt seit Jahrzehnten als Leit-Motiv der Pflege-Politik. Zu den Vorteilen der Versorgung in den eigenen vier Wänden zählt, dass die älteren Menschen eher in ihrem gewohnten Umfeld bleiben können. Dies entspricht dem Wunsch der meisten Menschen und sorgt dafür, dass Pflegebedürftige körperlich, geistig und sozial aktiv bleiben. Auch finanzielle Erwägungen sprechen für eine ambulante pflegerische Versorgung, denn sie ist den meisten Fällen deutlich kostengünstiger. Eine aktuelle Studie des Institutes der Deutschen Wirtschaft (IW) hat in seiner jüngsten Studie zu den „Herausforderungen an die Pflegeinfrastuktur“ aufgezeigt, dass eine Pflegepolitik, die vor allem auf Ambulantisierung und informelle/Laienpflege setzt, zwangsläufig in den Pflegenotstand führt. Durch den Schwerpunkt auf die Ambulantisierung findet die notwendige Pflegeinfrastruktur und der damit verbundene Investitionsbedarf nur wenig Beachtung. Da das Vorhalten einer ausreichenden und wirtschaftlichen Versorgungsstruktur in Deutschland in der Verantwortung der Bundesländer liegt, stellt sich die Frage, ob die Weichen für eine bedarfsgerechte Entwicklung der Pflegeinfrastruktur bereits gestellt sind.
Kritik vom VDAB
Kritik an der derzeitigen Ausrichtung der Pflegepolitik kommt vom Verband Deutscher Alten- und Behindertenhilfe e.V. (VDAB). Dessen Geschäftsführer kritisiert vor allem die schlechte Versorgung der stationären Pflege: „Die IW-Studie bestätigt den VDAB in allen Punkten, die er in Bezug auf die Zukunft der Versorgung deutlich gemacht hat. Das Hauptziel jeder vernünftigen Pflegepolitik muss es sein, dass auch in Zukunft jeder, der professionelle Pflege braucht, sie auch bekommt. Bei dem steigenden Zusatz-Bedarf an stationärer Pflege bis zum Jahr 2030 im Umfang von rund 200.000 Menschen im Basisszenario der IW-Analyse müssen dafür die Pflegekräfte gewonnen werden. Hinzu kommt der zusätzliche pflegerische Bedarf für rund 300.000 Menschen, die voraussichtlich ambulante Pflege wählen werden. Natürlich wird ein großer Teil davon informelle bzw. Laienpflege wählen. Die IW-Studie legt jedoch überzeugend dar, dass der Bedarf an professioneller Pflege auch in der ambulanten Versorgung zwangsläufig weiter steigen muss.
Wenn die Zahl der Pflegebedürftigen derart stark ansteigt, müssen außerdem die notwendigen Mittel dafür aufgebracht werden. Die Voraussetzungen dafür sind in Deutschland relativ schlecht.“
Der VDAB habe stets darauf hingewiesen, dass die Arbeits- und Rahmenbedingungen in der professionellen Pflege zügig und umfassend verändert werden müssen. Eine Vertrauenskultur müsse die derzeitige Misstrauenskultur ersetzen. Die professionelle Pflege habe ein Recht darauf, auf Augenhöhe mit den anderen Partnern im Gesundheitswesen verhandeln zu können. Sie müsse Mitspracherechte erhalten, die ihrem gesellschaftlichen Stellenwert entsprechen. Außerdem müsse sie finanziell in der Lage sein, netto zusätzliche Kräfte aus anderen Sektoren der Wirtschaft dauerhaft an sich zu binden. Das setze eine deutlich höhere Vergütung als heute voraus. Und sie habe das Recht mit einem Rechtsschutz gegenüber den Kostenträgern ausgestattet zu sein, der rechtsstaatlichen Grundsätzen entspreche.
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