Neue Studie zur Pflege im eigenen Zuhause – Angehörige übernehmen den Löwenanteil
Es sind nicht Pflegedienste, sondern pflegende Angehörige, die den Hauptanteil in der Pflege von bedürftigen Personen einnehmen. Diese Beobachtung kam bei der von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Studie „Pflege in den eigenen vier Wänden: Zeitaufwand und Kosten“ zu Tage.
Vollzeitjob für die Pflege
Es ist vielen zu Beginn nicht bewusst: die Pflege eines Verwandten ist oft ein Vollzeitjob. Im Durchschnitt werden 63 Stunden pro Woche für eine pflegebedürftige Person aufgewendet – darunter fallen unter Anderem Hilfe beim Waschen, Anziehen, oder Einkaufen. Diese Arbeit wird nur zu zehn Prozent von professionellen Diensten übernommen, für alles andere werden Angehörige, Freunde oder Nachbarn herangezogen. Diese „Anderen“ bestehen meist aus einer Hauptpflegeperson, die sich ca. 50 Stunden die Woche mit der Pflegeperson beschäftigt.
Die Daten hierfür haben Dr. Volker Hielscher, Dr. Sabine Kirchen-Peters und Dr. Lukas Nock am Iso-Institut für Sozialforschung und Sozialwirtschaft in Saarbrücken durch die Befragung von bundesweit mehr als 1.000 Haushalten, in denen Pflegebedürftige ab 65 Jahren leben, erhoben.
Die Studie zeigt nicht nur auf, dass Pflege viel Zeit in Anspruch nimmt, sie verdeutlich ebenso, dass eine soziale Ungleichheit bei der Betreuung hilfebedürftiger Menschen herrscht. Auch die Verknüpfung von Pflege und Arbeitsmarkt ist nicht ideal. Job, Familie, Einkommen sind neben der Pflege schwer zu vereinen.
Frauen übernehmen einen Großteil der Pflege
Rund 70 Prozent der Pflegebedürftigen werden im eigenen Zuhause versorgt. Meist übernimmt eine Hauptpflegeperson den Löwenanteil der Betreuung und Versorgung. Zu 48 Prozent handelt es sich dabei um den Lebenspartner, dicht gefolgt von den Kindern (39 Prozent). In beiden Fällen ist der weibliche Anteil größer – nur ein Drittel aller Hauptpflegepersonen ist männlich.
Mehr als die Hälfte aller Befragten verzichtet vollkommen auf Unterstützung durch professionelle Hilfe. Der Anteil der Hauptpflegepersonen, die den Pflegehaushalt komplett alleine bewerkstelligen, liegt bei 20 Prozent.
Beruf vs. Pflege
Die Untersuchungen von Doktoren Hielscher, Kirchen-Peters und Nock demonstrieren, dass sich Pflege und Beruf nur schwer vereinen. Satte 44 Prozent der Hauptpflegepersonen im erwerbsfähigen Alter gehen keiner Beschäftigung nach; rund ein Drittel hat die Arbeitszeit aufgrund der Pflegeaufgaben reduziert. Es ist jedoch nicht nur die zeitliche Belastung, auch finanzielle Aufwendungen machen das Leben schwerer. Die Wissenschaftler errechneten durchschnittliche Monatsausgaben von ca. 360 EUR, die nicht durch die Sachleistungen der Pflegeversicherung ersetzt werden. Das Pflegegeld kompensiert diese Ausgaben zwar, jedoch reicht es nur teilweise aus, um die Gesamtkosten zu decken.
Unterstützung durch Hilfskraft
Der hohe Zeitaufwand der Pflege veranlasst knapp 10 Prozent der Befragten dazu eine eigens im Haushalt lebende 24h Betreuungskraft – oft osteuropäischer Herkunft – zu engagieren. Angehörige, die durch Beruf, oder andere Verpflichtungen, nicht genug Zeit für eine intensive Betreuung haben, können diese somit dennoch gewährleisten. Allerdings sind solche Beschäftigungen oft nicht realisierbar, da sie den arbeitsrechtlichen Mindeststandards nicht entsprechen. Ferner ist die private Anstellung solcher Hilfskräfte teuer – sie bleibt daher nur finanzstarken Haushalten vorbehalten.
Soziale Unterschiede
Eine weitere soziale Diskrepanz – neben dem Einkommen – tritt bei den Angeboten zur Pflegeberatung auf. Pflegende Angehörige aus sozial schwächeren Schichten nehmen diese deutlich seltener wahr. Laut Studie sind sie häufig mit den bürokratischen Anforderungen der Pflegeorganisation überfordert. Pflegebedürftige in einkommensstarken Haushalten werden so oft in höhere Pflegegrade eingruppiert als solche aus sozial schwächeren Kreisen. Da dies vermutlich nicht am Grad des Pflegebedarfs liegt, scheint es den Hauptpflegepersonen höherer Schichten besser zu gelingen, gegenüber der Pflegeversicherung einen größeren Bedarf geltend zu machen.
Eine Aufgabe der Politik?
Die Studie veranschaulicht, dass es noch einige Schwierigkeiten in Bezug auf die Pflege daheim gibt. Man möchte einerseits, dass die Pflege weitestgehend zuhause von Angehörigen übernommen wird, will jedoch gleichzeitig eine hohe Erwerbstätigkeit, professionelle Pflegestandards, Chancengleichheit und gute Arbeitsbedingungen für alle ermöglichen. Es ist kaum vorstellbar, all dies unter einen Hut zu bringen. Dr. Volker Hielscher, Dr. Sabine Kirchen-Peters und Dr. Lukas Nock sind sich jedoch einig, dass die Politik entscheiden müsse, „ob die Bewältigung von Pflegebedürftigkeit als gesellschaftliche Aufgabe definiert und gelöst oder weiterhin ein primär privates, von den Familien zu tragendes Risiko bleiben“ soll.
Neueste Kommentare