Pflegeheim ist Vorbild für die Industrie
Kranke Mitarbeiter kosten Unternehmen jährlich Milliarden. Ausgerechnet ein Pflegeheim zeigt nun der Industrie, wie man es besser macht. Die AOK Neckar-Fils hat dem Filderstädter Vorzeigebetrieb eine Bühne dafür gegeben. Vorhang auf.
2014 fehlte bundesweit statistisch jeder Arbeitnehmer 17 Tage. Mit zehn Prozent ist vor allem der Anteil psychischer Erkrankungen signifikant gestiegen: Ständige Erreichbarkeit, schnelle Prozesse und steigender Druck machen die Leute kaputt. Johannes Bauernfeind, Geschäftsführer der AOK Neckar-Fils, bietet mit einem Präventionsprogramm psychischem Stress nun Paroli.
In einem zwölfwöchigen Kurs „Lebe Balance“, den Unternehmen bei der Krankenkasse für maximal 2500 Euro buchen können, lernen Arbeitnehmer, Stressfaktoren, sich selbst und ihre Bedürfnisse in den Blick zu nehmen. Der zentrale Begriff lautet Achtsamkeit. Bauernfeind erklärt, worum es dabei geht: „Der Einzelne muss bewusst wahrnehmen, was ihn stresst und welche Gedanken ihm kommen.“ Es sei die Kunst, diese zuzulassen – und ziehen zu lassen.
Einer von zwei Betrieben, die das Angebot bereits nutzen, ist die Wohngemeinschaft für Senioren (WGfS) in Filderstadt, die der Presse in einem Gespräch Rede und Antwort stand. 186 Mitarbeiter versorgen dort 134 Senioren in drei Pflegeheimen. Damit sowohl Früh- als auch Spätdienst an den zwölf 90-minütigen Sitzungen teilhaben konnten, fanden diese über die Mittagszeit statt. Von Januar bis April 2015 übten neun WGfS-Mitarbeiter mit Coach, achtsam zu sein. Die Kooperation wird fortgesetzt. „Wir wollen in den Köpfen ein Bewusstsein schaffen und bei vielen bleibt die Veränderung dauerhaft“, erklärt WGfS-Gründerin Rosemarie Amos-Ziegler.
Dass der Pflegedienstleister als eines der ersten Unternehmen „Lebe Balance“ erprobt, verwundert nicht: Der Arbeitgeber gilt als Vorreiter für Mitarbeitergesundheit, wie der 2009 gewonnene Corporate Health Award, der Deutsche Unternehmenspreis Gesundheit 2010 und der Deutsche Bildungspreis 2013 bestätigen. Seit sieben Jahren sind Bewegungs-, Ernährungs-, und Präventionsprogramme in den Arbeitsalltag integriert. Jeder Mitarbeiter kann einen Gesundheitsführerschein erwerben, den mittlerweile 56 Prozent des Personals haben. Ein Krankenstand, der deutlich unter dem Branchendurchschnitt liegt, ist das Resultat.
Auch bei der Weiterbildung ist die WGfS voraus: Der private Betreiber plant, ein Bonussystem einzuführen, das den Mitarbeitern geldwerte Vorteile für bisher kostenpflichtige Angebote bietet. WGfS-Gründerin Rosemarie Amos-Ziegler hat etwa den Grundsatz, alle Weiterbildungskosten für Mitarbeiter zu übernehmen, um deren Lern- und Entwicklungswillen zu honorieren.
Aktuell machen je drei Mitarbeiter nebenberuflich die Ausbildung zur Pflegedienstleitung sowie zur Gerontopsychiatrie-Fachkraft. Ein Mitarbeiter qualifiziert sich zum Wundmanager und drei zu Praxisanleitern, die Auszubildende schulen.
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