Pflege-Urteil: 24h-Pflege vor dem Aus?

Das Modell der 24-Stunden-Pflege alter Menschen steht vor einem Umbruch. Bisher hat dieses System gut funktioniert – allerdings zum Nachteil schlecht bezahlter osteuropäischer Pflegekräfte. Das sieht jetzt auch das Bundesarbeitsgericht und fällt das Urteil, welches für ausländische Pflegekräfte den Anspruch auf Mindestlohn erteilt.

24-Stunden-Pflege vor dem Aus? | Quelle: Negative Space – Pexels

Die Ausgangslage

Die häusliche Pflege alter Menschen funktioniert in Deutschland durch die Hilfe zehntausender Frauen aus Osteuropa. Experten schätzen, dass zwischen 300.000 bis 600.000 ausländische Arbeitskräfte im Bereich der häuslichen Betreuung tätig sind. Die Pflegekräfte, welche meist Frauen sind, werden von einer Agentur aus ihrem Heimatsland vermittelt und reisen für zwei bis drei Monate nach Deutschland, um hier zu arbeiten. Manche kommen auch als Selbstständige. Sie pflegen, betreuen, kaufen für die pflegebedürftigen Menschen ein und viele wohnen sogar bei ihnen.

Der Kölner Pflegeforscher Michael Isfort hält die ausländischen Betreuungskräfte für systemrelevant. Trotzdem arbeiten diese sehr oft unter schlechten Bedingungen, rund um die Uhr, haben keinen Urlaub und verdienen viel zu wenig Geld. Auch das Deutsche Institut für Menschenrechte bilanzierte 2020, dass viele der Hilfskräfte „von schwerster Arbeitsausbeutung“ betroffen seien.

Die Politik hat bis jetzt weggeschaut, doch nun hat das Bundesarbeitsgericht eine Entscheidung gefällt, welche die 24-Stunden-Pflege vor das Aus stellen könnte.

 

Urteil des Bundesarbeitsgerichtes und dessen Folgen

Eine bulgarische Pflegerin wehrte sich gegen die fragwürdigen Arbeitsbedingungen und zog vor Gericht. Sie hatte bei ihrem Einsatz in Deutschland von 2015 bis 2016 deutlich mehr Stunden gearbeitet, als in ihrem bulgarischen Arbeitsvertrag stand. Die Pflegerin zog bei einer 96-Jährigen in einer Seniorenwohnanlage ein und war nach eigenen Angaben täglich von morgens um sechs Uhr bis abends um 23 Uhr tätig.

Das höchste deutsche Arbeitsgericht in Erfurt gab ihr recht und stellte klar, dass ausländische Pflegekräfte, die in einen Privathaushalt nach Deutschland geschickt werden, den gesetzlichen Mindestlohn verdienen müssen – auch für Bereitschaftszeiten. Demnach stand das Urteil fest: Die Bulgarin muss nach dem gesetzlichen Mindestlohn bezahlt werden. Und so gerät das System, der 24-Stunden-Pflege ins Wanken.

Die Folgen des Urteils sind kaum abzusehen. Der Bundesverband der Betreuungsdienste (BBD) berechnete für den üblichen Lohn der osteuropäischen Pflegekräfte (1.500 €-1.700 €) einen Stundenlohn von 2,08 €.

„Wenn wir nationale Maßstäbe an eine 24-Stunden-Betreuung anlegen, sind das etwa 3,5 Stellen, damit Urlaub, freie Tage und Urlaubszeiten gewährt werden können. Das wären circa 9100 Euro pro Monat“, so Geschäftsführer Thomas Eisenreich. Das könne sich aber niemand leisten.

Auch die Verbraucherzentrale äußerte sich und betonte, dass eine 24-Stunden-Betreuung durch eine einzige Person gar nicht möglich sei. Zudem müssen Arbeitgeber deutsches Arbeitsrecht beachten und dementsprechend Mindestlohn bezahlen – dies können sich ausländische Agenturen einfach nicht leisten.

Sylvia Bühler vom Bundesvorstand der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di: „Das Modell der sogenannten 24-Stunden-Pflege basiert auf systematischem Gesetzesbruch.“ Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts könnte nun möglicherweise dazu beitragen, dass es sich für die beteiligten Agenturen nicht mehr lohnt, Frauen aus Osteuropa als Helferinnen zu vermitteln – denn es wird für sie zu teuer.

 

Sichtweisen

Das Thema ist der Politik schon seit längerem bekannt. Auch Pflegebevollmächtigter der Bundesregierung, Andreas Westerfellhaus, hatte bereits im Mai auf den dringenden Handlungsbedarf bei der 24-Stunden-Betreuung hingewiesen: „Unzulässige Arbeitszeiten, mangelnde Integration und soziale Absicherung, aber auch unklare Qualifikation und Haftung sind nur einige der kritischen Punkte“. Aus Sicht der Politik sei das Ziel, weder funktionierende Pflegesettings zu zerstören noch prekäre Arbeitsbedingungen und fragwürdige rechtliche Konstellationen zu tolerieren.

Aus Sicht des Gesundheitsministeriums gebe es aber noch keine Pläne, die in Deutschland geltenden Ausnahmen von internationalen Arbeitsschutz-Vorschriften für 24-Stunden-Pflegekräfte zu ändern. „Bedarf für Änderungen mit Blick auf das von Deutschland ratifizierte Übereinkommen Nr. 189 über menschenwürdige Arbeit für Hausangestellte der internationalen Arbeitsorganisation sieht die Bundesregierung nicht“, so das Ministerium auf eine Anfrage der Linkspartei.

Arbeitszeiten werden von der Konvention der internationalen Arbeitsorganisation ILO geregelt, wovon jedoch Personen in Deutschland ausgenommen sind, die im Haushalt von Pflegebedürftigen leben – Beschäftigte der 24-Stunden-Pflege zählen hier dazu.

 

Alternativen zum Konzept

Kirchliche Organisationen bieten Alternativen an: „CariFair“ von der Caritas oder „Faircare“ von der Diakonie Baden-Württemberg. Beide Organisationen beraten Hilfskräfte, bereiten sie auf Deutschland vor, und helfen bei der Verwaltungsarbeit. Hier werden sie dann nach Tarif bezahlt, haben Urlaub und Freizeit und werden durch die Sozialstationen vor Ort begleitet.

Eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung für Pflegebedürftige wird von diesen Alternativkonzepten aber nicht angeboten. Stattdessen gibt es ein Baukastensystem, welches sich aus häuslicher und ambulanter Pflege sowie Familien- und Nachbarschaftshilfe zusammensetzt.

Eine Antwort

  1. Mario Schwarz sagt:

    Interessant, dass Pflegekräfte von einer Agentur aus ihrem Heimatland vermittelt werden, um für zwei bis drei Monate in Deutschland zu arbeiten. Durch eine Beförderung kann ich nicht mehr so häufig wie nötig nach meiner Mutter schauen. Ich werde mich dafür nach einer erfahrenen 24-Stunden-Pflege erkundigen.

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